Freitag, 22. Oktober 2010

Schlussbetrachtung/Letzter Eintrag

Ich habe mir mit meiner kleinen Schlussbetrachtung nun immerhin knapp zwei Monate Zeit gelassen. Da die meisten ja nun schon wissen, dass ich wieder im Lande bin nehme ich mal an, dass das hier auch nicht allzuviele lesen werden.

Am 25. August früh morgens landete ich mit einigen anderen Freiwilligen wieder am Flughafen in Frankfurt. Ziemlich müde, da ich während des Fluges, wie auf dem Hinflug auch fast überhaupt nicht geschlafen hatte, ungünstigerweise hatte ich dann auch kurz vor dem Flug bzw. die letzten zwei Tage auch noch Fieber bekommen.
Das erste was mir auffiel waren vor allem zwei Sachen:
Erstens, es war recht kühl (ca. 14°C) was bewirkte, dass ich meinen Atem sehen konnte.
Zweiteres waren cie vielen "großen" vornehmlich deutschen Autos, die es zu sehen gab: Audi, BMW, Benz, Porsche und selbst VW. Alles Autos, von denen viele auf den Philippinen schwärmen, Deutschland lässt sich vor allem an seinen Automarken identifizieren.

Da noch Frühstück anstand, ging es danach noch zum Bäcker. Da war das aller verwunderlichste was mir nach der Rückkehr aufiel: Es wird Deutsch gesprochen, völlig unmissverständlich trägt man seinen Wunsch vor, sollte doch ein Missverständnis geben, lässt sich das meistens in windeseile klären. Missverständnisse auf den Philippinen gehörten oft zum Alltag dazu. Man lernt zwar, sich recht gut auszudrücken, aber dennoch; auch dem Gegenüber war oft nicht sofort klar was man wollte, da half dann meistens nur ein Gemisch aus Englisch, Waray Waray, oder sich irgendwie mit Händen und Füßen verständlich zu machen. Meistens, wenn auch nicht immer, hat es ja dann doch alles irgendwie geklappt.
Mir ist jedenfalls aufgefallen, was ein Luxus es letztendlich ist, sich in seiner eigenen Sprache verständigen zu können und auch verstanden zu werden.
Häufig werde ich gefragt: "Kannst du denn jetzt philippinisch". Die Sache ist die, dass es kein "philippinisch" gibt. Da es sich bei den Philippinen um ein Archipel handelt, bei dem es stets Wasser zu überqueren gilt um von einer Insel zur anderen zu kommen, ist die Sprachvielfalt natürlich entsprechend hoch. Über 200 Dialekte werden gesprochen, teilweise mit Ähnlichkeit, teilweise eher weniger. Das macht die Verständigung unter den Einheimischen selbst auch schwer, obgleich es zwei vorherrschende Dialekte gibt: Tagalog (offizielle Amtssprache) und Cebuano (meiste Sprecher).
Auffällig ist, dass die Sprache selbst ziemlich mit Anglizismen durchsetzt ist, sicher nicht zuletzt durch die recht intensive amerikanische Kolonialherrschaft. Wortneuschöpfungen gibt es meines Wissens, zumindest in den meisten Dialekten nicht i.d.R. werden einfach die Englischen Wörter übernommen, wodurch sich das Gesprochene häufig recht bizarr anhört. Die Globalisierung macht eben auch hier keine Ausnahmen.

Zurück zu Hause hat sich sehr sehr schnell eine gewisse Normalität eingestellt. Die ersten zwei Wochen hing mir die Zeitumstellung noch ein wenig nach, aber es lässt sich sagen, dass es das beinah auch schon gewesen war. Viele Sprechen vom sogenannten "Reverse Kulturschock", also dem Rückkehrer Kulturschock. Ich würde behaupten, er blieb bei mir aus.
Es war so, als käme man in eine abgespeicherte Welt zurück, die man so vorfindet, als ob man sie erst gestern verlassen hätte. Kleine Änderungen gab es natürlich, aber auf das Gesamte bezogen, fielen sie quasi nicht ins Gewicht.
Normalitäten, alte Angewohnheiten stellten sich sofort wieder ein, es dauerte nur wenige Tage und das ganze Jahr auf den Philippinen kam mir nur noch wie ein Traum vor. Daran hat sich auch bis jetzt nichts geändert. Es ist als hätte das alles eine gewissen blassen Schleier aufliegen, wie im Traum eben. Ähnlich kam mir das Leben allerdings auch in Deutschland vor, als ich von den Philippinen an zu Hause dachte.

Den Verlauf des Jahres lässt sich aus den Beiträgen ja mehr oder weniger herauslesen, ganz kurz sah das etwa so aus:
Ankunft im Land, erstmal alles ganz interessant, viel Neues, vieles, was mir z.B. später beim Laufen auf der Straße aufgefallen bin, habe ich noch überhaupt nicht wahrgenommen. Der Einzug in Hernani war dann eigentlich die erste große Demotivierung, gefolgt von so gut wie keiner Arbeit und auch ein wenig Heimweh war das erst mal eine ganze Weile lang sehr niederknüppelnd. Besser wurde es im Dezember, viel nach Borongan gefahren und was mit Freunden gemacht. Weihnachten war irgendwie eher ein Trauerspiel. Zum einen beginnt Weihnachten bereits im September, zum anderen kam keinerlei weihnachtliche Stimmung in mir auf, was sicherlich daran liegt, dass ich es von klein auf anders gewöhnt bin. Plastiktannenbäume mit Schneeimitation haben wie ich finde in den Tropen nichts verloren. Schöner wäre es, wenn man sich dort was eigenes "passendes" Suchen würde (z.B.Weihnachtspalmen? In Israel wachsen ja schließlich auch keine Tannen, fällt kein Schnee...) Silvester dann das erste mal ein wenig herumgereist. Januar ein ganz witziges Zwischenseminar, Februar dann aufgrund der Langeweile und der Wohnsituation, zuletzt auch wegen der nicht vorhandenen Privatsphäre ziemlich am Boden, schmieden von Umzugsplänen. März dann Besuch von Eva und Flo dann auch die Nachricht bekommen, dass Umzug möglich ist. Darüber bin ich bis heute sehr froh, ich bin mir nicht sicher, ob ich das Jahr in Hernani zu Ende geführt hätte.
April dann Besuch von meinen Eltern und David, Umzug nach Borongan, danach ein wenig im Fußballverein engagiert. Mai, Juni, Juli dann auch einiges mit Freunden gemacht, u.a. auch in Manila gewesen, dennoch habe ich mich auch hier viel gelangweilt. Juli dann noch mal vermehrt herumgereist, was sehr angenehm und abendteuerlich war, August stand dann schon im Zeichen der Abreise.
Generell lässt sich sagen, dass ich mich auch sehr viel gelangweilt habe, morgens aufgestanden bin und auf den Abend gewartet habe, um wieder ins Bett zu gehen und den Tag herumzukriegen. Habe mich dann immer sehr auf meine Absreise gefreut. Von daher finde ich die Aussage "Naja, dann hast du ja quasi ein Jahr Urlaub gemacht" eher unzutreffend, da Urlaub einen entspannenden Charakter haben sollte.

Im Rückblick kann ich schon abschließend sagen, dass das Jahr sehr viel mit Warten, Ausharren und Durchhalten zu tun hatte. Geduld war definitiv erforderlich und allzu häufig hatte ich überhaupt keinen Spaß daran. Oft war es schon ein schwieriger Kampf, nicht zuletzt auch ein Kampf mit sich selbst, zugleich auch ein kennenlernen seiner selbst. Sicher gab es im Gegensatz dazu auch immer wieder schöne Tage und Momente.
Letztendlich kann ich es denke ich mit zwei Begriffen ganz gut beschreiben: Herausforderung (auch emotional) und vor allem Erfahrung.
Eine herausfordernde und somit nicht immer einfache Erfahrung. Eine Erfahrung, die schwer zu erlangen war aber dennoch eine, die ich heute auf nicht mehr missen möchte.
Ich habe während dieses Jahres viel gelernt, wie oben beschrieben, nicht zuletzt auch (oder vielleicht sogar "vor allem"?) über mich selbst. Ich habe neue Sichtweisen entwickelt und anderes Verständnis entwickelt, von denen ich mir sicher bin, das man sie zwar in Bücher drucken kann, sie aber erst wirklich und vollends verstehen wird, wenn man es selbst erlebt und erfahren hat.


Eine dieser neuen Sichtweisen ist vor allem eine zur Entwicklungshilfe selbst:

Muss das wirklich sein? Brauchen "wir" Entwicklungshilfe bzw. die Empfängerländer? Wie können wir sagen, wir seien weiter entwickelt als jemand anderes? Woran machen wir das fest? An unserem Wohlstand hört man viele da sagen. Doch muss man sich dann nicht zuerst anschauen, wie man Wohlstand überhaupt definiert? Nichts ist einfacher als das, da Wohlstand i.d.R am Materiellen gemessen wird. Wir haben, also sind wir entwickelt, andere haben nicht, also sind sie unterentwickelt. Wir sehen schlimme Bilder im Fernsehn und Zeitung und sind empört. Also zieht man los um anderen "Entwicklung" zu bringen und zwar nach unseren Vorstellungen. Ob in der betroffenen Kultur überhaupt das dringende Bedürfnis nach der oben definierten Entwicklung besteht, ist uns für gewöhnlich völlig egal.
Zuletzt endet das ganze darin, dass häufig ein System aufgezogen, oder zumindest augezogen versucht wird, mit welchem die Bevölkerung überhaupt nichts anfangen kann, dass sie von ihrer Kultur her vielleicht gar nicht nachvollziehen kann. Zweitausend Jahre Geschichte sollen dann am Besten sofort nachgeholt werden. Und es ist ja nicht so, dass in diesen zweitausend Jahren dort rein gar nichts geschehen wäre. Das Problem liegt vor allem darin, dass wir stets unser System, unseren Weg und unsere Kultur als das den und die einzige Betrachten, nebendem alles andere als "unterentwickelt" abgetan wird.
Verbunden ist dies auch mit vielen zumeist veralteten oder wie auch immer entstandenen Klischees (der Brunnenbauer in Afrika, ein wirklich uraltes Bild, zumindest ist man bei der heutigen Entwicklungshilfe soweit, dass man Hilfe zur Selbsthilfe vermitteln möchte, also z.B. Brunnenbauer ausbildet, da ich mich hier aber mit der Grundfrage Entwicklungshilfe beschäftige, passt das jetzt nicht ganz dazu) bei denen einem schnell auffallen wird, dass sie sich als nicht haltbar erweisen, wenn man das betreffende Land bereist. Vor allem muss man auch überlegen, wieso solche Probleme entstanden sind? Tausende von Jahren haben die Menschen es geschafft, gut zu überleben und auf einmal Problem hier Problem da, wieso geht es nicht mehr? Ist es vielleicht möglich, dass unser System, Wohlstand (überwiegend auf Materialisus basierend), eben doch kein Patentrezept für alles ist? Die Antwort muss jeder für sich selbst finden.

(Anmerkung: Hier gilt es zu Unterscheiden. Ich werfe hier nur einen Blick auf die Idee der Entwicklungshilfe im allgemeinen. Sicherlich mag es einige Bereiche geben, die unterstützenswert sind, z.B. Arbeit im Kinderheim etc.)


"Würdes du es noch mal machen" ist ebenfalls eine häufig gestellte Frage. Alles Fragen die man nicht einfach in einem Satz mit "Ja" oder "Nein" beantworten kann. Was genau würde ich nochmal machen? Ein Jahr im Ausland? Ein Jahr auf den Philippinen? Ein erneutes Jahr mit weltwärts? Exakt das gleiche noch einmal? Letzteres würde ich sicher verneinen, wozu exakt das gleiche noch einmal? Zweites und Drittes würde ich auch eher verneinen, erstgenanntes allerdings könnte ich mir durchaus noch einmal vorstellen.
Viele die ich heute Treffen haben auch missverständlich aufgefasst, ich sei als Entwicklungshelfer unterwegs gewesen. Das ist allerdings falsch, vielleicht bin ich an diesem Bild vielleicht selbst mitschuldig, da mir meine Aufgabe als Weltwärtsfreiwilliger auch nicht immer ganz klar war und ich es in einem gewissen Maße damit verglichen habe.
Nein, ich hatte nie den Auftrag, einem "Entwicklungsland" dazu zu verhelfen, eine blühende, strahlende Großmacht zu werden.
Meine Aufgabe lag ganz klar in der des Lernenden, was mir selbst eben auch erst später bewußt geworden ist.

Damit wäre der Blog über meinen Aufenthalt auf den Philippinen beendet